Biografia
Jörg Shimon Schuldhess (eigentlich Jörg Anton Schulthess, * 4.6.1941 Basel; † 15.6.1992 Basel) war ein Schweizer Zeichner, Maler, Grafiker und Schriftsteller. Neben Bildern auf Leinwand und Papier gestaltete er auch Musikinstrumente, Keramiken und Kleinplastiken. Er publizierte Bücher mit Bildreproduktionen und Texten.
Nach seinem Schulabschluss suchte sich Schuldhess eine Lehrstelle bei einem Bildhauer, seine Eltern bestanden aber auf einer kaufmännischen Ausbildung. Nach deren Abschluss lernte er bei dem Basler Maler Max Kämpf die Grundlagen der Malerei, besonders auch die Zeichnung des menschlichen Körpers. 1963 veranstaltete er seine erste Ausstellung und arbeitete nur noch als frei schaffender Künstler. Unterstützung erhielt er während ca. 5 Jahren durch das 1964 gegründete Patronat «Patis». Allein und mit anderen Malern seiner Generation veranstaltete er Happenings und Aktionen. 1967 gründete er mit Kurt Fahrner und weiteren jungen Malern in Basel die Farnsburggruppe, deren Ziel es war, für die junge Malergeneration Entfaltungsmöglichkeiten unabhängig vom etablierten Kunstbetrieb zu schaffen. Schuldhess lebte die meiste Zeit in der Region oder in der Stadt Basel, einige Jahre in Norditalien, einige Monate in Südspanien. Er reiste sehr viel, besuchte alle Kontinente, stellte in vielen Ländern aus. In seinen letzten Lebensjahren konzentrierte sich seine Tätigkeit vor allem auf Indien und China. Er starb während der Vorbereitung von Ausstellungen in Goa und in Jinan, diese wurden seine ersten posthumen Ausstellungen.
Der Holocaust und der Staat Israel beschäftigten Schuldhess durch sein ganzes Leben und bestimmten zu einem grossen Teil die Thematik seiner Bilder und Schriften (Bilder der Gaskammern ab 1963, biblische Illustrationen und «Römische Tempel» ab 1970, Bilder palästinensischer Flüchtlinge nach 1982). Um als Mensch der Nachkriegsgeneration nicht an einer neuen Judenvernichtung mitschuldig zu werden, stellte Schuldhess sich in den Kriegen von 1967 und 1973 der israelischen Armee zur Verfügung. In der Folge wurde er 1968 in die Israelitische Gemeinde Basel aufgenommen. Er bereiste viele Male das Land Israel und das Westjordanland und plante die Einwanderung. Mit zunehmender Beunruhigung beobachtete er die Siedlungstätigkeit in den von Israel 1967 eroberten Gebieten. Beim Ausbruch des Libanonkrieges 1982 protestierte er über die Medien und in Rundschreiben gegen das, was er als Irrweg von Israel empfand. Dem Judentum als Religion weiterhin verbunden, verurteilte er die Besatzungspolitik des Staates Israel. In der Folge wandte sich Schuldhess der indischen Geisteswelt zu. Sein Interesse galt den Lehren der Gewaltlosigkeit und Toleranz, Gandhi, Ramakrishna und dem Jainismus. Diese bestimmen die Bildthematik und die Orte seiner Ausstellungen in den Jahren 1990–92.
Schuldhess verstarb, 51-jährig, an Herzversagen. Gemäss seinem Wunsch wurde seine Asche in Kalkutta im Ganges beigesetzt.
Schuldhess verstand die Intuition als Hauptquelle seiner Malerei. Er glaubte, dass das rationale Denken die Wahrheit des Bildes verfälschen könnte. Um den wertenden Intellekt auszuschalten und die Intuition zu aktivieren, präparierte er seinen Malgrund mit aufgespritzten Farbflecken. Darauf entwickelte er spontan, ohne jede Skizze, sein Bildmotiv. Niemals malte er nach Vorlage oder nach Natur. Seine Bildmotive, Mensch, Tier, Pflanze oder Architektur, sind nicht Abbilder der äusseren Realität, sondern von symbolischer Bedeutung. Schuldhess verstand seine Malerei als engagierte Kunst, nicht als l’art pour l’art. (Zitat: «Ich bin kein Maler der schönen Künste.» Film «Der Riss» DRS 1986/87.) Viele seiner Bilder sind auf weltpolitische Ereignisse bezogen, auf Ereignisse von Krieg und Gewalttaten. Schuldhess’ Werk wurde so vollständig als möglich in einem Gesamtwerksverzeichnis erfasst. Davon wurden die ersten vier Bände gedruckt, sie enthalten die Werke von 1959 bis 1973. Insgesamt sind Fotos und Daten zu etwas mehr als 7000 Einzelwerken dokumentiert.
Ein besonderes Symbol in Schuldhess’ Bildsprache ist der gemalte «Riss», der viele seiner Ölbilder längs, quer oder diagonal durchzieht. «Der Riss macht eine Störung sichtbar, die Ordnung ist gebrochen.» Im Bildmotiv der «Strafaufgabe» ist die ganze Bildfläche besetzt mit Strichmännchen, in gitterartige Zellen eingeschlossen. Der Riss zeigt eine gleichartige darunterliegende Schicht. In manchen Bildern umschliesst der Riss schemenhafte Gestalten. Eine rote Linie durchzieht den Riss in den Bildern seiner letzten Lebensmonate. Mit dem Film «Der Riss» von 1986/87 dokumentierte das Schweizer Fernsehen die Bedeutung des Risses als Bildmotiv und Ausdruck von Schuldhess’ persönlichem Engagement. «Ich bin kein Künstler, ich male nur das, was ich nicht sagen kann.» In seinen Büchern kombiniert Schuldhess Reproduktionen seiner Bilder mit Texten, um seine Botschaft zu vermitteln. In den Büchern der Jahre vor 1980 ist die Thematik auf Fragen des Lebens allgemein bezogen. Ab 1982 konzentriert sie sich hauptsächlich auf die Situation in Nahost. Die Textteile setzen sich zusammen aus Berichten und Erörterungen in Briefform und ausgewählten Flugblättern, ergänzt durch einige Antwortbriefe und Dokumentationen aus der Presse.
Jörg Anton Schuldhess (Jörg Shimon Schulthess; Shimon ben Awrohom Owinu) ∗ 4.6.1941 Basel, † 15.6.1992 Basel. Jörg Shimon Schuldhess, mit bürgerlichem Namen Jörg Anton Schulthess, wächst in Basel auf. Der Vater, ein Freizeitmaler, stammt aus dem Emmental, die Mutter, ursprünglich aus Italien, ist jüdisch-sephardischer Herkunft. Bereits als Kind muss er sich mehreren Operationen unterziehen. Nach Abschluss einer kaufmännischen Lehre widmet er sich der Kunst und erlernt beim Basler Max Kämpf die handwerklichen Fertigkeiten der Malerei. 1964 gründen einige Freunde des Malers das Patronat Jörg Schulthess (PATIS),das sich die Förderung seiner Kunst zur Aufgabe macht. Um auf seine Anliegen aufmerksam zu machen, organisiert der Künstler Aktionen und Happenings. Er gründet die Farnsburg-Gruppe, ein Kollektiv, das es jungen Künstlern ermöglichen soll, ihre Werke auszustellen. Entsprechend seinem kosmopolitischen Denken nimmt Jörg Shimon Schuldhess während seiner Schaffenszeit an einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen rund um den Globus teil, und er erhält zahlreiche Preise und Stipendien. Eine tiefe Freundschaft verbindet ihn mit Jean Dubuffet. Jörg Shimon Schuldhess setzt sich intensiv mit der Art Brut und der Kunst geisteskranker Menschen auseinander und hält Vorträge über Adolf Wölfli.
Durch die Auseinandersetzung mit dem Holocaust für die Belange des jüdischen Volkes sensibilisiert, stellt Schuldhess sich während des Sechstagekrieges als Freiwilliger der israelischen Armee zur Verfügung. Aus ethisch-religiösen Gründen konvertiert er 1968 zum israelitischen Glauben. 1979 nimmt er die israelische Staatsbürgerschaft an. Als Israel 1982 den Libanon besetzt, ergreift der Maler jedoch Partei für die Unterdrückten, die Palästinenser. Von der israelischen Regierung enttäuscht, gibt er seine Papiere an die israelische Botschaft in Bern zurück. 1971 reist er nach Afrika, wo er die Inseln Lamu und Sansibar besucht. Konfrontiert mit den Auswirkungen des Kolonialismus und seinen Folgen, der Sklaverei, nennt er sich in Zukunft Schuldhess. Der Namenswechsel resultiert aus dem persönlichen Gefühl einer Kollektivschuld der weissen Rasse und ist mit einer Selbstanklage gleichzusetzen. Als Jörg Shimon Schuldhess 1992 stirbt, wird seine Asche nach indischem Ritus dem Ganges übergeben.
Wie kaum bei einem anderen Künstler sind bei Jörg Shimon Schuldhess Leben und Werk aufs engste miteinander verknüpft. Seine Werke sind engagierte Zeugnisse des Zeitgeistes, der Weltpolitik und des persönlichen, politischen und sozialkritischen Einsatzes des Künstlers. Sensibilisiert durch eigene Erfahrungen, ergreift Jörg Shimon Schuldhess Partei für die Unterdrückten, für Minoritäten und Randgruppen. Oft arbeitet der Künstler in Serien. Der Zyklus der Judenverfolgung, entstanden in den 1960er-Jahren, beinhaltet seine Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Bewusst hat der Künstler dazu den Holzschnitt mit seiner harten, kantigen Charakteristik gewählt. Die in Blaugrautönen gehaltenen Ölbilder hingegen sollen den Betrachter nicht nur an das Schicksal der sterbenden Juden erinnern, sondern auch Assoziationen an das tödliche Gas wachrufen. Während einige Zyklen zeitlich begrenzt sind und bestimmte Lebensabschnitte spiegeln, durchziehen andere sein gesamtes Schaffen. Stilistisch sind Schuldhess’ Werke dem Symbolismus zuzuordnen. Auf den ersten Blick kleinteilig und dekorativ, sind es meist komplex aufgebaute, symbolträchtige Bilder von eminent politischer Aussage, deren Interpretation ein beträchtliches Mass an Wissen voraussetzt. Die Symbole, vorwiegend den grossen Weltreligionen entnommen, sind als Zeichen, Warnungen, Weisheiten oder Erkenntnisse zu verstehen. Von besonderer Bedeutung jedoch ist das malerische Motiv des Risses, ein altes jüdisches Symbol aus der Kabbala, das sich durch sein gesamtes Werk zieht. Der Riss macht die Störung in der Ordnung der Dinge sichtbar, von Auschwitz bis Sabra und Shatila. In den Bildern, die Schuldhess kurz vor seinem Tod malt, erscheint im Riss eine rote Linie, gleichsam der freigelegte Nerv des Lebens.Werke: Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kunstmuseum; Genf, Musée d’art et d’histoire; Liestal, Dichter- und Stadtmuseum; Liestal, Kunsthistorische Sammlung, Archäologie und Museum Baselland; Liestal, Sammlung Kunstkredit, Archäologie und Museum Baselland; Paris, Musée national d’art moderne, Centre Georges Pompidou; Rio de Janeiro, Museu de Arte Moderna; Wien, Graphische Sammlung Albertina; Zürich, Graphische Sammlung der ETH.
Christine Schmutz, 1998, aktualisiert durch die Redaktion (SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz), 2018
Link:
https://joerg-shimon-schuldhess.ch/
https://search.nation.online/serp?q=J%C3%B6rg+Shimon+Schuldhess&page=3&sc=f5yvprpMY0sG20
Litografia Jörg SCHULDHESS, 1971, 42 x 58 cm, firmata: "50/17 Jörg Schuldhess 11 1971"